Warum Politik nicht alles regeln sollte

Über die Grenzen politischer Fürsorge

Politik beginnt oft mit guten Absichten – und endet zuweilen in gut gemeinter Bevormundung. Je komplexer die Welt, desto größer wird der Wunsch, sie zu ordnen. Für jedes Problem eine Regel, für jede Unsicherheit ein Programm. Doch in dem Moment, in dem Politik alles regeln will, verliert sie das, was sie eigentlich schützen soll: die Freiheit des Einzelnen, Verantwortung zu übernehmen.

Ein funktionierender Staat braucht Ordnung. Aber Ordnung ist kein Selbstzweck. Wenn Regeln zum Ersatz für Vertrauen werden, entsteht ein Klima, in dem Menschen verlernen, selbst zu entscheiden. Verantwortung wird delegiert – nach oben, zur Politik, zur Verwaltung, zu einem System, das am Ende mehr kontrolliert als ermöglicht.

Das Problem ist nicht Fürsorge, sondern ihr Übermaß. Politik verwechselt Fürsorge zu oft mit Fürsichsorge – also mit der Vorstellung, man müsse alles absichern, um alles zu verhindern. Doch Freiheit lässt sich nicht administrieren. Sie braucht Raum, Unschärfe, die Zumutbarkeit des Eigenen. Wo der Staat alles regelt, nimmt er den Menschen das Vertrauen in sich selbst.

Diese Überregulierung ist selten böse gemeint. Sie folgt einer Logik der Kontrolle: Sicherheit vor Selbstbestimmung, Planbarkeit vor Vertrauen. Aber eine Gesellschaft, die sich zu sehr auf den Staat verlässt, verliert ihre innere Kraft. Eigenverantwortung wird zur Theorie, Initiative zum Risiko.

Eine reife Demokratie erkennt ihre Grenzen – nicht aus Schwäche, sondern aus Weisheit. Sie weiß, dass Freiheit nur dann funktioniert, wenn sie mit Verantwortung verbunden bleibt. Politik kann Rahmen setzen, Anreize schaffen, Fehlentwicklungen korrigieren. Aber sie kann weder Lebensentwürfe noch Gewissen steuern.

Der Liberalismus beginnt dort, wo der Staat aufhört, alles besser wissen zu wollen. Er vertraut auf die Fähigkeit der Menschen, zu urteilen, zu lernen, auch zu scheitern. Denn Selbstbestimmung bedeutet nicht, immer recht zu haben – sondern die Freiheit, aus Fehlern zu wachsen.

Wer Politik ernst nimmt, muss Kontrolle abgeben können. Vertrauen ist keine Nachsicht, sondern eine Form von Respekt. Ein Staat, der seinen Bürgern etwas zutraut, gewinnt Autorität. Einer, der sie bevormundet, verliert sie. Freiheit ist kein Risiko, das man minimieren kann – sie ist die Grundlage dafür, dass Verantwortung überhaupt entstehen kann.

Politik darf nicht alles regeln wollen. Denn wo sie es versucht, verliert sie das Vertrauen, das sie braucht, um wirksam zu sein. Die Kunst des Regierens besteht nicht darin, neue Regeln zu schaffen, sondern zu wissen, wann es besser ist, keine zu erlassen.

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