Warum das Verschwinden einer Idee gefährlicher ist als das Scheitern einer Partei.
Wenn eine liberale Partei verstummt, geht mehr verloren als nur ein politischer Akteur – es erodiert das Fundament unserer Demokratie. Denn Freiheit ist unbequem. Sie verlangt Verantwortung, widerspricht dem Reflex der Vereinfachung und trägt Konflikte offen aus. Gerade deshalb ist sie so verletzlich. Das zeigt sich auch innenpolitisch: Politik in Deutschland wird zunehmend technokratisch und regulativ gedacht. Freiheit lässt sich nicht dekretieren; sie lebt davon, dass man sie aushält – und verteidigt.
Eine Demokratie kann sich keine schwache Vertretung des Liberalismus leisten. Nicht um einer Partei willen, sondern um der Idee. Sie ist das Korrektiv zu staatlicher Übergriffigkeit, zu regulativer Selbstgefälligkeit und dem Reflex, Sicherheit durch Bevormundung zu erkaufen. Verstummt diese Stimme, verschwindet nicht nur eine Strömung – es kippt ein Teil der Stabilität, die unsere Demokratie braucht.
Dass der Liberalismus ins Hintertreffen geraten ist, liegt jedoch nicht nur an äußeren Kräften, sondern an einer entscheidenden inneren Schwäche. Die politische Kraft, die ihn in Deutschland tragen sollte, hat an Profil und Haltung verloren. Es ist der Verlust der ordnungspolitischen Kompromisslosigkeit, dessen Preis der Verlust der eigenen Prinzipien war.
Der Verlust von Glaubwürdigkeit
Eine politische Idee lebt nicht nur von ihren Prinzipien, sondern von der Glaubwürdigkeit derer, die sie vertreten. Für den Liberalismus bedeutet das: Er braucht Menschen, die ihn tragen – nicht nur in Beschlüssen, sondern im Stil. Wer Freiheit ernst nimmt, vertraut dem Einzelnen und wirbt um Zustimmung, statt sie zu verordnen. Genau hier ist die Bindung brüchig geworden: nicht schlagartig, sondern schleichend – im Ton, in der Kommunikation, im Führungsstil.
Die Zustimmung zum Gebäudeenergiegesetz markierte einen Kipppunkt. Es war ein Lehrstück dafür, wie Vertrauen schwindet, wenn die öffentliche Begründung und die tatsächliche Zumutbarkeit auseinanderfallen. Während nach außen ein liberaler Verhandlungserfolg kommuniziert wurde, blieb intern wie extern der Eindruck eines Mitziehens ohne volle Überzeugung – ein Bruch mit dem liberalen Kernprinzip von Maß und Verhältnismäßigkeit.
Was auf dem Spiel steht
Dieses Muster – das Zögern, eine klare ordnungspolitische Grenze zu ziehen – wiederholt sich auf europäischer Ebene mit noch größerer Tragweite. Was auf dem Spiel steht, ist nicht nur ein Parteiprofil. Es ist die Frage, ob der freiheitliche Gedanke in unseren politischen Systemen überhaupt noch mit hinreichender Kraft vertreten wird. Er ist das Gegengewicht zu staatlicher Übergriffigkeit, zu moralisch aufgeladener Regulierung und zu technokratischer Selbstgewissheit.
Gerade in einer Zeit, in der Berichtspflichten, Ausgabenprogramme und Verbotsinitiativen zunehmen, braucht es eine liberale Kraft, die diesen Entwicklungen eine konsistente ordnungspolitische Linie entgegensetzt. Die EU-Entwaldungsverordnung etwa wird in wenigen Monaten in Kraft treten – mit erheblichen, teils existenzbedrohenden Folgen für Mittelstand und Landwirtschaft. Sie ist ordnungspolitisch zweifelhaft, in der Umsetzung realitätsfern, und dennoch bleibt liberale Kritik weitgehend aus.
Ähnlich bereits beim Hinweisgeberschutzgesetz: Eine EU-Richtlinie wurde in Deutschland so umgesetzt, dass Unternehmen mit zusätzlichen Bürokratiepflichten belastet werden, ohne dass dadurch mehr Rechtsklarheit entsteht. Statt diese Übererfüllung zu hinterfragen, hat man sie hingenommen – und damit ein weiteres Mal das Prinzip der Verhältnismäßigkeit preisgegeben. Jede Lücke, die der Liberalismus hier hinterlässt, wird unweigerlich von jenen gefüllt, die einfache Antworten auf komplexe Fragen geben – sei es durch mehr staatliche Kontrolle oder nationale Abschottung.
Verantwortung und Appell
Eine liberale Demokratie braucht eine starke liberale Stimme – nicht als Nischenangebot, sondern für zivilisatorisches Gegengewicht. Dafür reicht es nicht, Formate zu wechseln und neue Programmprozesse zu starten. Es braucht politische Klarheit, Mut und den Willen, Verantwortung zu tragen.
Die FDP steht vor einer einfachen Wahl: Entweder sie wird wieder zum lauten Anwalt der Freiheit oder sie wird zur leisen Verwalterin ihres eigenen Niedergangs. Es ist nicht zu spät. Aber es wird Zeit.