Eigenständigkeit ist kein Spagat

Birgit Wegner FDP Nürnberg

Über den Unterschied zwischen Unabhängigkeit und Beliebigkeit

Eigenständigkeit ist in der Politik ein großes Wort – und ein selten gelebtes. Viele verstehen darunter den Versuch, zwischen allen Seiten zu balancieren, Kompromisse zu schließen, Brücken zu bauen. Doch echte Eigenständigkeit entsteht nicht aus dem Wunsch, es allen recht zu machen, sondern aus der Klarheit, wofür man steht – und wofür nicht. Wer Politik ernst nimmt, muss unterscheiden können zwischen Kooperation und Anpassung. Kooperation setzt Überzeugung voraus; Anpassung ersetzt sie. Der Unterschied ist leise, aber entscheidend. Eine Partei, die um jeden Preis anschlussfähig sein will, verliert am Ende genau das, was sie anschlussfähig macht: Profil.

Eigenständigkeit bedeutet, Entscheidungen nach Prinzipien zu treffen – nicht nach der Wahrscheinlichkeit von Zustimmung. Doch in einer politischen Kultur, die Umfragen über Überzeugungen stellt, gilt Abgrenzung schnell als Risiko. Der reflexhafte Ruf nach „Einigkeit“ ersetzt die Auseinandersetzung. Man redet von Vielfalt, meint aber Konformität. Wer Haltung zeigt, wird heute leicht als unflexibel bezeichnet. Dabei ist das Gegenteil richtig: Nur wer eine Haltung hat, kann Kompromisse eingehen, ohne sich selbst zu verlieren. Beliebigkeit ist kein Zeichen von Offenheit, sondern von Orientierungslosigkeit. Sie nimmt der Politik ihre Richtung und dem Wähler seinen Maßstab.

Eigenständigkeit verlangt Mut – den Mut, auch dann zu stehen, wenn der Wind von vorn kommt. Sie ist kein Spagat zwischen Lagern, sondern das Ergebnis einer inneren Festigkeit. Wer zu oft über Brücken geht, verliert irgendwann das Gefühl für das Ufer, von dem er kam. Liberalismus bedeutet, Freiheit zu denken – nicht bloß zu fordern. Er verlangt Urteilskraft und Selbstvertrauen, keine ständige Rückversicherung im Applaus anderer. Politik darf sich nicht in Taktik verlieren. Sie wird erst dann glaubwürdig, wenn sie bereit ist, auch allein zu stehen – solange sie weiß, wofür.

Klarheit ist kein Mangel an Offenheit, sondern ihre Voraussetzung. Wer weiß, wofür er steht, kann zuhören, abwägen, sich überzeugen lassen. Doch wer nur hören will, was ihm gefällt, wird nie verstehen, was ihn weiterbringt. Eigenständigkeit heißt, Kritik nicht zu fürchten – sondern sie auszuhalten. Politik braucht diesen Mut zur Selbstbehauptung. Denn wer alles zugleich sein will, wird am Ende zu niemandem, und wer sich ständig erklärt, wird nicht mehr verstanden. Eigenständigkeit ist kein Spagat. Sie ist das Maß zwischen Haltung und Offenheit – und der Mut, beides auszuhalten.

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