Eigenständigkeit ist kein Spagat

Birgit Wegner FDP Nürnberg

Über Differenz, Standfestigkeit und den Wert unabhängiger Politik

Der Platz des Liberalen liegt zwischen den Stühlen. Nicht aus Unentschlossenheit, sondern aus Überzeugung. Denn wer sich nicht treiben lässt – weder von politischen Lagern noch von moralischer Eindeutigkeit –, braucht Haltung.

Freiheit gedeiht nicht in Parteilichkeit, sondern in Unabhängigkeit. Sie verlangt Differenzierung statt Gefolgschaft, Abwägung statt Automatismen. Liberale Politik strebt nicht nach der maximalen Zustimmung, sondern nach vernünftigen Lösungen. Sie urteilt nach Prinzipien, nicht nach Zugehörigkeiten.

In der Mitte – wo es unbequem ist

Gerade deshalb liegt ihr Platz oft dort, wo der Schlagabtausch am lautesten ist: In der Mitte, zwischen Moral und Machbarkeit. Zwischen Fortschrittsanspruch und Realitätssinn. Zwischen ideologischer Selbstgerechtigkeit und pragmatischer Beliebigkeit.

Liberale Politik gerät oft genau dann unter Druck, wenn sie sich nicht auf die gängigen Narrative einlässt. Etwa dann, wenn sie Meinungsfreiheit verteidigt, auch für unbequeme Stimmen. Oder wenn sie sich weigert, politische Konflikte in Gut und Böse aufzulösen.
Solche Prinzipientreue zeigt sich nicht im Grundsatzpapier – sondern im Kleinen, im Alltag der politischen Entscheidung.
Im Mut, sich gegen Vereinfachung zu stellen, auch wenn sie Zustimmung verspricht. In der Bereitschaft, differenzierte Anträge zu unterstützen – selbst wenn sie aus der falschen Fraktion kommen. Und in der Standfestigkeit, ein Bündnis abzulehnen, das zwar moralisch einig ist, aber politisch einseitig handelt.

Nicht mit dem Zeitgeist, sondern mit Prinzipien

Wer sich nicht vereinnahmen lässt – weder von der Haltungspflicht noch vom kalkulierten Tabubruch –, steht schnell im Verdacht, sich zu ducken. Dabei ist genau das der freiheitliche Anspruch: nicht moralisch zu sortieren, sondern inhaltlich zu argumentieren. Nicht mit dem Zeitgeist zu schwimmen, sondern Prinzipien gegen Stimmungen zu verteidigen.

Das bedeutet auch, Kritik auszuhalten. An der eigenen Partei. Am Diskursklima. An der Art, wie Medien Debatten rahmen. Es bedeutet, nicht auf jede Empörungswelle aufzuspringen – und stattdessen dafür zu werben, erst zu prüfen, dann zu urteilen.

Offene Gesellschaft braucht Offenheit

Was fehlt, ist nicht Haltung. Sondern die Bereitschaft vieler, auch andere Haltungen gelten zu lassen. Wer nur noch in Freund und Feind denkt, verkennt das Grundprinzip einer offenen Gesellschaft. Und wer politische Etiketten über Inhalte stellt, ersetzt Argumente durch Abgrenzung.

Doch genau das erleben wir immer häufiger: in Stadträten, in sozialen Medien, in Talkshows. Wer differenziert, wird verdächtig. Wer abwägt, gilt als unklar. Wer unabhängig entscheidet, wird isoliert. Dabei braucht Demokratie genau das: Streit – ohne Feindbild. Unterschied ohne Ausgrenzung. Dissens ohne moralische Diffamierung.

Eigenständigkeit ist kein Spagat

Differenz ist kein Spagat. Sie ist ein bewusst gewählter Standpunkt – und sie erfordert Mut. Gerade in Zeiten, in denen Polarisierung zum Prinzip wird, braucht es Stimmen, die sich nicht einordnen lassen. Die nicht mit dem Lager, sondern mit dem Gewissen stimmen. Die nicht mitlaufen, sondern begründen.

Zwischen den Stühlen beginnt der Raum, den Freiheit braucht.

Nicht bequem. Aber aufrichtig. Und notwendig.

Lesen Sie auch