Gut gemeint – schlecht gemacht.
Waldschutz ist kein Luxus, sondern eine globale Notwendigkeit. Dass die Europäische Union mit der neuen Entwaldungsverordnung (EUDR) ein Zeichen setzen will, ist deshalb richtig. Doch wie so oft liegt der Unterschied zwischen politischem Anspruch und praktischer Wirkung im Detail – und im Maß der Umsetzung.
Die Idee hinter der Verordnung ist nachvollziehbar: Produkte, die in der EU verkauft werden, sollen nicht zur weltweiten Entwaldung beitragen. Der Gedanke ist klar – die Umsetzung hingegen ist es nicht. Was als Beitrag zum Klimaschutz und zur globalen Verantwortung formuliert wurde, entwickelt sich mehr und mehr zur Belastungsprobe für Mittelstand, Landwirtschaft, internationale Handelsbeziehungen und am Ende auch für die politische Glaubwürdigkeit Europas selbst.
Überforderung der Falschen
Denn die EUDR verlangt lückenlose Nachweise, präzise Geodaten, digitale Erfassungen – unabhängig davon, woher ein Produkt stammt. Eine Parzelle Kakao im tropischen Regenwald wird genauso behandelt wie ein Stück Wald in Mittelfranken. Wer Holz, Kaffee, Kakao oder andere betroffene Rohstoffe verarbeitet oder handelt, muss für jedes einzelne Herkunftsgebiet Belege liefern. Für kleine und mittlere Betriebe, für Waldbesitzer, für handwerkliche Verarbeiter oder familiengeführte Unternehmen ist das nicht nur eine bürokratische Zumutung – es ist oft schlicht nicht machbar.
Ausschluss statt Teilhabe
Hinzu kommt: Die Regeln sind bis heute unvollständig. Viele technische Leitlinien fehlen, zentrale Fragen sind offen, die Umsetzung unklar – und das wenige Monate vor Geltungsbeginn. Wer investieren will, muss ins Ungewisse investieren. Wer keine Mittel für umfassende Compliance-Systeme hat, wird aus dem Markt gedrängt. Gerade für kleine Unternehmen, die bisher oft besonders verantwortungsvoll und regional gewirtschaftet haben, bedeutet das eine strukturelle Benachteiligung – ohne klimapolitischen Mehrwert.
Noch gravierender sind die Folgen für die globale Lieferkette. Millionen Kleinbauern, insbesondere in Westafrika, Südamerika und Südostasien, können die verlangten Nachweise gar nicht erbringen. Ihre Felder sind häufig nicht kartografiert, ihr Zugang zu Satellitendaten oder digitalen Plattformen ist begrenzt, ihre Mittel knapp. Für viele von ihnen bedeutet die EUDR nicht Teilhabe, sondern Ausschluss. Statt zum Vorbild für nachhaltigen Handel zu werden, droht Europa mit dieser Verordnung zum abgeschotteten Hochregulierungsraum zu werden – verbunden mit der paradoxen Wirkung, dass betroffene Produkte in weniger regulierte Märkte umgeleitet werden, in denen Umwelt- und Sozialstandards deutlich niedriger sind.
Vertrauen als politische Währung
Der politische Schaden geht weit über den Forst- oder Agrarsektor hinaus. Wenn Europa Regeln erlässt, die in der Realität vieler Länder nicht umsetzbar sind, verspielt es Vertrauen und Partnerschaftsfähigkeit. Entwicklungszusammenarbeit wird zur Einbahnstraße, faire Handelsbeziehungen werden durch technokratische Barrieren ersetzt. Das untergräbt nicht nur das eigentliche Ziel der Verordnung – es schwächt die europäische Idee.
Wettbewerbsnachteil für Nachhaltige
Auch auf dem heimischen Markt sind die Folgen spürbar. Die höheren Aufwände führen zu steigenden Kosten, die in Zeiten ohnehin angespannter Lieferketten und hoher Inflation direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Gleichzeitig geraten europäische Betriebe gegenüber Mitbewerbern aus weniger stark regulierten Weltregionen ins Hintertreffen. Ausgerechnet jene, die am meisten in Nachhaltigkeit investiert haben, verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das ist nicht ökologisch klug, sondern wirtschaftlich kurzsichtig.
Nachhaltigkeit braucht Vertrauen
Diese Form von Regulierung folgt einem bekannten Muster: Der politische Wille ist stark, das Vertrauen in marktwirtschaftliche Selbststeuerung gering, der bürokratische Zugriff umso ausgeprägter. Doch wer Nachhaltigkeit nur durch Kontrolle, Nachweis und Berichtspflicht denkt, verkennt die Realität vieler Betriebe – und verspielt Unterstützung für den eigentlichen Kern der Idee.
Klimaschutz braucht Regeln. Aber er braucht auch Augenmaß, Vertrauen und eine realistische Vorstellung davon, was in der Praxis umsetzbar ist. Die EU-Entwaldungsverordnung verfehlt ihr Ziel, solange sie sich an einem Maximalanspruch orientiert und dabei diejenigen überfordert, die heute schon Verantwortung übernehmen. Nachhaltigkeit lässt sich nicht dekretieren – sie muss ermöglicht werden.
Zeit für eine Kurskorrektur
Die Kritik an der Verordnung bedeutet nicht, das Ziel in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Wer Wald schützen will, braucht wirksame Regeln. Aber er braucht auch die Fähigkeit, Fehler zu korrigieren, wo sie sichtbar werden.
Deshalb braucht es eine Kurskorrektur. Die EU sollte nachhaltige Produktionsländer nicht gängeln, sondern entlasten. Eine risikobasierte Differenzierung, praxistaugliche Leitlinien und gezielte Unterstützung für Partnerländer wären wirksamer als pauschale Pflichten. Denn Klimaschutz gelingt nicht durch Misstrauen – sondern durch Kooperation, Augenmaß und Verantwortung.