Extremismus ist keine Einbahnstraße. Demokratie auch nicht.

Warum der Einsatz gegen Radikalisierung Maß braucht – auf allen Seiten

Seit Monaten prägen Demonstrationen und Gegendemonstrationen jeden Montag das Bild der Nürnberger Innenstadt. Was als Ausdruck demokratischer Meinungsfreiheit begann, hat sich zu einem ritualisierten Ausnahmezustand entwickelt – begleitet von aggressiver Stimmung, ideologischen Abgrenzungen und wachsender Überforderung der Ordnungskräfte.

Im Zentrum stehen Versammlungen der Gruppe „Team Menschenrechte“, deren Inhalte nicht selten verschwörungsideologisch aufgeladen sind. Ihre Aussagen sind vielfach zu kritisieren. Dennoch gilt: Solange sie friedlich demonstrieren, keine Gewalt ausüben und das Gespräch suchen, bewegen sie sich im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit.

Weitaus bedenklicher ist, was sich regelmäßig im Umfeld dieser Demonstrationen entwickelt: Gegendemonstrationen, oft unterstützt durch Organisationen, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus verschrieben haben, mobilisieren deutlich mehr Teilnehmer und tragen zunehmend zur Eskalation bei.

Am 26. Mai kam es zu Flaschen- und Eierwürfen auf Einsatzkräfte. Wiederholt wurde gegen das Vermummungsverbot verstoßen, es wurden Fahnen und Symbole gezeigt, die mit demokratischen Grundprinzipien schwer vereinbar sind. Darunter solche der vom Verfassungsschutz beobachteten SDAJ oder Palästina-Fahnen ohne erkennbare Distanzierung zur Hamas. Auch der sogenannte „Kreuzfaustgruß“, eine pauschale Ablehnung staatlicher Autorität, war bereits zu sehen.

In sozialen Netzwerken kursieren zahlreiche Aufnahmen, die dokumentieren, wie sich die Gegendemonstrationen teils verselbständigen und eine Atmosphäre erzeugen, die mit einem aufgeklärten, rechtsstaatlichen Selbstverständnis kaum vereinbar ist.

Eine Entwicklung, die exemplarisch zeigt, wie leicht sich zivilgesellschaftliches Engagement in ideologische Abgrenzung verkehren kann – und die sich nicht nur auf Nürnberg beschränkt.

Problematisch wird es dort, wo sich demokratische Bündnisse mit dieser Entwicklung gemein machen – sei es durch aktive Beteiligung oder durch stillschweigende Duldung. Wer glaubwürdig gegen Extremismus eintreten will, muss dies mit der gleichen Konsequenz nach allen Seiten tun. Der Rechtsstaat kennt keine legitimen oder illegitimen Verstöße. Er lebt von Maß, Prinzipientreue und der Bereitschaft zur Abgrenzung gegenüber allen radikalen Tendenzen, unabhängig von deren politischem Vorzeichen.

Ein Bündnis, das sich ausschließlich gegen Rechtsextremismus richtet, mag auf den ersten Blick unstrittig sein. Doch es verliert an Glaubwürdigkeit, wenn es blind wird für Radikalisierung in den eigenen Reihen oder auf dem eigenen Demonstrationszug. Wer Demokratie verteidigt, muss den Anspruch haben, auf allen Seiten wachsam zu bleiben. Auch gegenüber jenen, die sich verbal auf der „richtigen Seite“ verorten.

Der Einsatz für eine offene, demokratische Gesellschaft darf nicht zum Kampfmittel einer politischen Richtung werden. Er verlangt Differenzierung, einen klaren Kompass und den Mut zur Unterscheidung. Gerade in Zeiten wachsender Polarisierung ist es essenziell, das Maß nicht zu verlieren und die demokratische Mitte nicht ideologisch zu überfordern.

Ein glaubwürdiger Kampf gegen Extremismus beginnt mit der Bereitschaft zur Selbstkorrektur. Nur wer auch die eigenen Bündnispartner kritisch hinterfragt, kann erwarten, gehört zu werden.

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